Victor von Strauss und Bismarck
eine ausführliche Darstellung von Leben und Werk von Victor von Strauss und Torney ist bei wikipedia.de einzusehen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Victor_von_Strauss
Victor von Strauss und Torney, Altersbildnis
nach Andrae
Victor von Strauss und Bismarck: Gegenspieler im Frankfurter Bundestag:
In der schaumburg - lippischen Geschichte gibt es — abgesehen von einigen wenigen Repräsentanten des Grafen- und Fürstenhauses — nur eine Persönlichkeit, der die Nachwelt den Rang eines Politikers von Format zugesprochen hat: Viktor von Strauß. 1809 wurde er in Bückeburg als Sohn des Buchbindermeisters Strauß geboren, 1899 starb er in Dresden als D.theol.h.c. und Wirkl.Geh. Rat.
Die Enge kleinbürgerlicher Erziehung und kleinstädtischen Milieus hatte schon der 17jährige Student übersprungen, der bei Tieck Vorlesungen über Shakespeare hörte und bei Ratsch in Dresden Unterricht im Kupferstechen nahm. Außergewöhnlich begabt und vielseitig interessiert, war er der Typ des "genialischen" Menschen, wie der Sturm und Drang und die Romantik ihn sahen und als den ihn wohl auch der alte Goethe zu erkennen glaubte, als er ihm bei einem Besuch in Weimar zum Abschied auf den Weg gab: "Wer mit der Hand in die Wolken greifen will, stehe fest auf der Erde." Unter dem Eindruck dieser Begegnung absolvierte er sein — ungeliebtes — juristisches Studium, ohne seine künstlerischen Neigungen aufzugeben.
Noch nicht 23 Jahre alt, trat er als Amtsauditor und Archivar in den schaumburg-lippischen Staatsdienst. Als er mit 40 Jahren die politische Bühne als Gesandter Schaumburg-Lippes im Frankfurter Bundestag betrat, war er der gebildeten deutschen Bürgerschicht bereits ein literarischer Begriff. Mit Romanen, Gedichten und religiösen Liedern war er hervorgetreten. Geibel und Schücking, der junge Freund der Annette von Droste-Hülshoff, umwarben ihn wegen seiner literarischen Beiträge für den "Deutschen Musenalmanach". Mit Adelbert von Chamisso und anderen Dichtern der Romantik unterhielt er freundschaftlichen Briefwechsel. Er förderte die Herausgabe der "Geschichte des deutschen Kirchenliedes" durch Philipp Wackernagel, die ihm als begnadetem Musiker und anerkanntem Interpreten von Bach und Beethoven am Herzen lag.
Ausgedehnte Reisen hatten ihn als Begleiter seines Landesherrn durch Böhmen, Österreich und Ungarn geführt, und sie schlugen sich nicht nur literarisch in seinen Romanen und Tagebüchern nieder, sondern ebenso in den in seinem Nachlaß erhaltenen Skizzenbüchern und Zeichnungen, die eine ausgeprägte Beobachtungsgabe und Talent verraten.
Zur Literatur, Malerei und Musik gesellte sich mit zunehmendem Alter die Sprachwissenschaft. Chinesische Sprachstudien und der erste Versuch einer Übersetzung des Laotse sowie die Herausgabe eines Werkes über den altägyptischen Monotheismus zeugen nicht nur von der ungemein breit angelegten Begabung und Bildung, sondern nicht weniger von einer immensen Schaffenskraft.
Fast will einem daneben seine beruflich-politische Laufbahn als ein Versehen oder Irrtum erscheinen, selbst angesichts der Tatsache, daß sein Name während einer allzu kurzen Episode als Zeichen der Gegnerschaft zu Bismarck Glanz wie Verketzerung erfuhr.
Und doch verraten schon seine frühen, in ihrer Zeitgebundenheit längst vergessenen Romane, ebenso wie seine "Briefe über Staatskunst", in denen er sich gegen die liberale Verfassungserneuerung aussprach, den "leidenschaftlichen Zeitkämpfer", wie seine Enkelin Lulu von Strauß und Torney ihn charakterisierte.
Anders seine Gesandtschaftsberichte und sonstigen Zeugnisse seiner amtlichen Tätigkeit: leidenschaftslos, nüchtern, sein Amt religiös fundiert als Berufung und Dienst für seinen Fürsten auffassend, griff er nie über die ihm durch Instruktionen gesteckten Grenzen selbständig politisch handelnd hinaus. So war es auch 1866 bei der österreichisch - preußischen Krise, als er — auf eine Nachricht des Bückeburger Hofes vergeblich wartend — sich für und gegen eine der beiden deutschen Großmächte zu entscheiden hatte. Er war nicht der Mann, hierbei nach seinen Neigungen und Gefühlen oder nach machtpolitischen Erwägungen zu handeln. Seine politische großdeutsche Überzeugung und seine Anhänglichkeit an das österreichische Kaiserhaus, dem er sein Adelsprädikat verdankte, spielten bei seiner Entscheidung ebensowenig eine Rolle wie seine persönliche Abneigung gegen Bismarck, der vielen seiner Zeitgenossen nach der berüchtigten "Blut und Eisen-Rede" vor der Budgetkommission im Jahre 1862 als ein frivoler und skrupelloser Politiker und Mann ohne Grundsätze erschien.
Turnusgemäß war Strauß an jenem 14. Juni 1866 Stimmführer der 16. Kurie, in der die sechs kleinsten deutschen Staaten zusammengefaßt waren. Während zwei von ihnen für den österreichischen Mobilmachungsantrag stimmten, zwei gegen ihn, wurde ein Antrag auf Verweisung an den Ausschuß gestellt, und Schaumburg - Lippe enthielt sich — mangels Instruktion — der Stimme. Indem Strauß ganz korrekt nur die Ja- und Neinstimmen wertete und damit Stimmengleichheit feststellte, gab er für die 16. Kurie eine Ja-Stimme ab, sich — gemäß den Bestimmungen des Kuriatvertrages — der bereits bestehenden Mehrheit in der Bundesversammlung anschließend. Somit wurde der österreichische Mobilmachungsantrag mit neun gegen sechs Stimmen angenommen. Preußen erklärte darauf den Bundesvertrag für gebrochen und für sich nicht mehr verbindlich. Der Krieg von 1866 nahm damit seinen Lauf. Preußen stieg in Norddeutschland zur absolut gebietenden und erdrückenden Macht auf. indem es jetzt einen "legitimen" Grund glaubte vorschützen zu können, Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt, die gegen Preußen gestimmt hatten, zu annektieren.
Strauß hatte zwar vor der Bundestagssitzung nach Bückeburg berichtet, er werde wie Hannover stimmen, falls er bis dahin keine Anweisung erhalten habe, hatte sich dann aber, als die Mehrheit des Bundestages für Österreich ohnehin gesichert war, der Stimme enthalten, klug und in Kenntnis der preußischen Absichten, wodurch Schaumburg -Lippe dem Schicksal Hannovers entging.
Bei der folgenden Auseinandersetzung zwischen Preußen und Schaumburg-Lippe ging es nicht um die Stimmenthaltung, sondern um den Antrag von Reuß jüngerer Linie auf Verweisung an den Ausschuß, den Bismarck als Nein-Stimme gewertet wissen wollte. Er beschuldigte Strauß der "Fälschung" und forderte eine Kriminaluntersuchung gegen den Gesandten, dem glühender Preußenhaß vorgeworfen wurde. Tatsächlich ging es Bismarck ausschließlich um die Person V.Strauß. Das Verhalten des schaumburg-lippischen Hofes und der Regierung in dieser Affäre zeugt von richtiger Selbsteinschätzung und politischer Klugheit und überdies von respektheischender Zivilcourage. Schon einen Tag nach der Bundesabstimmung marschierten preußische Truppen, von Minden kommend, durch Schaumburg-Lippe in das Königreich Hannover ein, am 29. Juni kapitulierte Hannover nach der verlorenen Schlacht von Langensalza, und vier Tage später entschied sich das Schicksal Österreichs und damit das gesamtdeutsche in der Schlacht von Königgrätz. Und in diesen kritischen Tagen stellte sich die Schaumburg-Lippische Regierung nicht nur hinter Strauß, sondern lehnte ein Gerichtsverfahren gegen ihn strikt ab und rechtfertigte sein Verhalten in Frankfurt in drei Schreiben an Bismarck. Strauß selbst erleichterte die Situation, indem er von seinem Amte zurücktrat, womit Bismarck sich — nach dem gewonnenen Kriege — schließlich zufriedengab. In einem Promemoria legte die Landesregierung abschließend nieder: "Es ist lediglich auf die Beseitigung des Herrn v. Strauß abgesehen gewesen. Die Untersuchung war nur etwas Vorgeschobenes." Und der Präsident v. Lauer fügte resignierend hinzu: "Preußen hat seinen Willen durchgesetzt, den es nur gleich von Anfang an hätte aussprechen sollen, oder den wir gleich von Anfang an hätten erraten oder (da wir dies in der Tat getan haben) hätten erfüllen sollen."
In den historischen Handbüchern suchen wir heute den Namen Strauß vergeblich. Zu schnell ging die politische Entwicklung über ihn hinweg. Vertreter rein machtpolitischer Grundsätze sowie den neuen wirtschaftlichen und sozialen Fragen zugewandte Geister haben die Geschichte des 19. Jahrhunderts in Deutschland bestimmt. Und diesen, den einen wie den andern, stand Strauß verständnislos und ablehnend gegenüber. Im strengsten Konservativismus dem Alten, Überlieferten als dem allein Rechtmäßigen verhaftet, schwamm dieser politisch so engagierte Mann gegen den Strom und suchte selbst das sich im Umbruch schon Auflösende nichtsdestotrotz vor der überstarken Zeitströmung zu retten.
Dr. Brigitte Poschmann