Die Dichterin
Lulu von Strauss und Torney (1873 - 1956)
Eine Fotografie aus den 30ger Jahren des 20. Jahrhunderts
Lulu von Strauss und Torney
Eine Lebensgeschichte der Dichterin
Die nachstehende Arbeit aus 1986 von Eva Rademacher gibt einen guten Aufschluß über Leben, Persönlichkeit und Werk der Dichterin, in dem sie deren Beziehung zu Theodor Heuss beschreibt.
Lulu von Strauß und Torney und Theodor Heuss
Zum 30. Todesjahr der Dichterin
Eva Rademacher
Dreißig Jahre nach ihrem Tode ist die Dichterin Lulu von Strauß und Torney in ihrer schaumburgischen Heimat unvergessen, obwohl nach dem Kriege kein Band ihrer schwerblütigen Balladen und Gedichte, keiner ihrer erdverwurzelten meisterhaften Romane, keine Sammlung ihrer holzschnittartigen Bauerngeschichten und herb-spröden Novellen eine Neuauflage erfuhr. Lediglich die bereits 1933 beim Eugen Diederichs Verlag erschienene Lebensgeschichte ihres geliebten Großvaters Viktor von Strauß und Torney „Vom Biedermeier zur Bismarckzeit", gelangte vor Jahren durch die Frommholdsche Buchhandlung in Bückeburg zu einer heute noch erhältlichen Neuauflage. In den vergangenen Jahrzehnten wurde hin und wieder in verschiedenen Publikationen" die Erinnerung an Lulu von Strauß wachgehalten, schlief das Interesse an ihren Werken und an ihrem Lebensweg, der sie als Gattin an die Seite des Verlegers Eugen Diederichs führte, nie ein. Wenig bekannt jedoch wurde ihre jahrzehntelange Verbundenheit mit einem hervorragenden Mann der deutschen Nachkriegsgeschichte, dem ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss. Die Geschichte einer bemerkenswerten Freundschaft soll daher im Mittelpunkt dieser Betrachtung stehen.
Theodor Heuss wurde am 31.1.1884 als dritter und jüngster Sohn eines Regierungsbaumeisters in Brackenheim geboren. Sein Vater wurde in das nahegelegene Heilbronn versetzt, als der kleine Dorle (von Theodorle) sechs Jahre alt war. So wurde die alte Freie Reichsstadt zur geliebten Heimat seiner Jugend. In seinem Buch „Vorspiele des Lebens"21 hat uns Heuss selbst seine erste Begegnung mit der zehn Jahre älteren Dichterin im Faschingsfebruar 1903 in München geschildert. Er, der neunzehnjährige Student der Kunstgeschichte und Staatswissenschaften, geriet an jenem „Boheme-Abend" des literarischen Vereins in ein anregendes Gespräch mit einer blonden schlanken Dame: "... Lulu von Strauß und Torney, um die Dreißig, wollte ,Welt sehen, die einen anderen Klang und Rhythmus besäße als das kleinhöfisch gepflegte Bückeburg."
Lulu, geboren am 20.9.1873, war die vierte Tochter des langjährigen Flügeladjutanten des Fürsten Adolf Georg zu Schaumburg-Lippe, Lothar von Strauß. Nur um vier Jahre überlebte er seinen als konservativen Politiker und Schriftsteller berühmten Vater Viktor, der 90 Jahre alt wurde. 1903 hatte sich die Enkelin als Dichterin durchgesetzt, lag von ihr bereits ein Band Balladen vor. Unbefangen, fröhlich und aufgeschlossen führte der Student Heuss Lulu und ihre Freundin, die Malerin Lis Niemeyer (1872-1963), durch München und das im Frühling erblühende Isartal. So begann eine jahrzehntelange Freundschaft, gefestigt durch einen reichen, lebendigen Briefwechsel und mehrere persönliche Begegnungen. Das Geheimnis dieser, schon durch den Altersunterschied ungewöhnliche Beziehung, war ein wechselseitiges Geben und Nehmen. Lulu hat, einfühlsam und vorsichtig lenkend, die ersten dichterischen Versuche ihres jungen Freundes begleitet, ihn ermutigt und beraten.
Im Juni 1907 schrieb Heuss der Freundin: "Finden Sie es arg frech gegen das Leben, Lulu, wenn man mit 24 Jahren ,Gatte' und mit 25 Jahren Vater sein will?... Die Elly kennen Sie ja, ich brauch Ihnen nicht erst von ihr zu schreiben.... Ich hoff, dass an der Freundschaft, die uns beide verbindet, später dann auch meine Frau teil hat."
Elly, drei Jahre älter als Heuss, wurde in Straßburg geboren, wo ihr Vater, Georg Friedrich Knapp, Professor der Nationalökonomie an der damals gegründeten Kaiser-Wilhelm-Universität war.5' Knapp hatte die begabte Lydia von Karganow, eine von seinen wenigen Studentinnen, geheiratet. Sie stammte aus einem georgischen Adelsgeschlecht des Kaukasus.Tragisch an dieser Verbindung war, dass Lydia bald nach Ellys Geburt, die ihre zweite Tochter war, schwer erkrankte und nie wieder genas. Die Erziehung der beiden Töchter lag allein in den Händen des Vaters, der sich auf unkonventionelle aber erfolgreiche Art bemühte, ihnen eine glückliche Kindheit zu schaffen. Elly hatte in ihrer Jugend das Glück, in einer Gemeinschaft ganz besonderer junger Menschen zu stehen. Albert Schweitzer, der sie mit Heuss traute, gehörte zu ihnen. Früh erhielt Elly Einblick in die Lebensweise der Armen, der Unterschicht. Nach einem Lehrerinnenexamen kam sie zu weiteren Studien nach Berlin, wo Naumann sie in seinen Kreis zog. Hier lernte sie Theodor Heuss kennen, den sie 1908 heiratete. In Berlin gab sie im Lette-Verein und an der Victoria-Fortbildungsschule Unterricht in Bürgerkunde und Volkswirtschaft. Aus seinen Briefen an Lulu sprechen der Stolz und die Hochachtung, die Heuss vor den beruflichen Qualitäten seiner Frau hatte. In der damaligen Zeit war es in bürgerlichen Kreisen ganz ungewöhnlich, dass eine Frau nach der Eheschließung ihren Beruf weiter ausübte. Elly ist durchaus als Naumann-Schülerin zu sehen und hier eine ideale Ergänzung zu ihrem Gatten. Heuss ist der Naumann-Biograph,6' der Theoretiker und Chronist - Elly die Praktikerin, die fest im christlichen Glauben steht, der sie von 1923 an zu engen geistigen Beziehungen zu Otto Dibelius, dem späteren Bischof von Berlin, führte.
Angeregt durch Heuss, hat sich Lulu intensiv mit Friedrich Naumann und seiner Lehre beschäftigt.7' In einem Brief an Heuss vom 8. August 1907 spricht sie von Naumanns "wundervoll weiten Horizont". "Seine Zukunftsperspektive, Kaisertum und Demokratie, hat viel Verlockendes. Aber denken Sie, Dorle, die Bücher haben eine andere Wirkung auf mich gehabt, als Sie dachten. Sie meinten ja, ich würde mich, wenn ich sie gelesen hätte, nicht mehr konservativ nennen können. Aber durch die prachtvolle Zusammenfassung des ganzen Stoffes unter die paar großen Gesichtspunkte hat das Buch zwar sehr klärend auf mich gewirkt, aber im entgegengesetzten Sinne.... schließlich glaube ich, wie sich auch die deutsche Zukunft entwickeln mag, dass immer ein konservativer Volksteil notwendig sein wird, um durch die Reibung das Leben vor Verknöcherung in irgendwelchen, auch demokratischen, Formen zu bewahren, und um die Wage im Gleichgewichtzu halten. Das danke ich Naumanns Büchern, dass ich mich bewußt auf die Seite der Erhaltenden stelle.... so muß es doch auch immer Stimmen geben, die sagen: werft um der Zukunft willen nicht die Vergangenheit ganz weg, haltet, was sich an Wertvollem halten läßt... Ich wollte, ich könnte alle hundert Jahr wiederkommen und sehen, wie sich die Entwicklung vollzogen hat! - "
Am 17.9.1907 antwortet Heuss aus Berlin:
"Liebe Lulu!... Ich bin Ihnen noch die Antwort auf Ihr Naumannbekenntnis schuldig, das ich gefühlsmäßig vollkommen und ohne Enttäuschung verstanden habe.... Sie wollten ja im Oktober wieder hier auftauchen und dann können wir uns einmal eingehender über die Geschichten unterhalten. Wenn ichs nicht in Württemberg wollte, würde ich versuchen, bei der nächsten Wahl in Bückeburg aufgestellt zu werden (was ja der kleinste Wahlkreis ist), Sie müßten mich deutsch sprechen lernen* und dann würden wir das Fürstentum einstecken."
Dieser spaßige kleine Lapsus zielt auf Lulus Bemühungen, die Heuss sehr anerkannte, kleine grammatikalische Unebenheiten, zumal in den lyrischen Versuchen des Freundes, auszumerzen. Lulus Sprache und Stilempfinden waren bemerkenswert sicher und untadelig.
Noch heute geistert in vielen Köpfen der alte Papa Heuss mit seiner württembergischen Diktion und seinem "nun siegt mal schön" herum. Dabei wird oft übersehen, dass Heuss drei Jahrzehnte seines Lebens in Berlin gearbeitet und gelebt hat. Vor dem ersten Weltkrieg besuchte ihn Lulu dort alljährlich. Auch nach seiner Heirat setzte Lulu ihre Berlinbesuche fort. Wie Heuss es sich gewünscht hatte, wurde Elly in die Freundschaft einbezogen, und sie versah seine Briefe an Lulu oft mit einem Nachtrag. Am 14. Juli 1909 schreibt Elly aus Berlin-Schöneberg an ihren Vater G. F. Knapp: "Gestern hat uns die Schriftstellerin Lulu von Strauß und Torney besucht, deren Novellen "Das Meerminneke" und "Der Hof am Brink" Dir so gut gefallen. Sie arbeitet immer Bauernkrieg, sitzt viel in den Archiven ihrer Vaterstadt Bückeburg herum und ist derTypus des adligen norddeutschen Fräuleins. Sehr klug und sehr com-me il faut. Sie ist schon lang mit dem Theodor befreundet."8'
Im August 1910 wurde Ernst-Ludwig Heuss geboren, der noch als Mann "Lulu" gerufen wurde. Die Briefe des stolzen Vaters an die Freundin sind voll der entzückendsten Schilderungen der Familien-Idylle, die von Lulu mit liebevoller Anteilnahme beantwortet werden.
Im Jahre 1912 verlor Naumann bei den Reichstagswahlen sein Heilbronner Mandat, bei dessen Erringung er durch Heuss fünf Jahre zuvor durch harten persönlichen Einsatz im Wahlkampf unterstützt worden war. Nun sollte Heuss selbst in die Bresche springen, die Leitung der dortigen liberalen Neckar-Zeitung übernehmen und den knapp verlorenen Wahlkreis zurückgewinnen. In Heilbronn hat das Ehepaar Heuss sechs Jahre lang gewirkt. Im Frühjahr 1918 kehrten sie nach Berlin zurück, wo Heuss 1924 Mitglied des Reichstages wurde.
Durch den Dichter Hermann Löns, der von 1907 bis 1910 in Bückeburg als Redakteur der Schaumburg-Lippischen Landeszeitung lebte, wurde Lulu mit dem bedeutenden Verleger Eugen Diederichs aus Jena bekannt, zu dessen Autoren auch Löns zählte. In der Vorstellung der meisten Leser ist Löns der frisch-fröhliche Naturbursche, ausdauernde Zecher und leichtdreiste Schürzenjäger, zumal wenn dieseTrophäe ein hübsches Bauernmädchen schmückte. Dieses war sicher auch eine Seite des Dichters Löns. Sein engster Freundeskreis jedoch kannte seine große Sensibilität, fürchtete seine tiefen Depressionen, die lebensbedrohende Dimensionen erreichen konnten. Heute ist schwer auszumachen, wie weit Lulu auch diesen anderen Löns gekannt und gestützt hat. Fest steht, dass zwischen ihnen ein tiefes freundschaftliches Verhältnis, geprägt von gegenseitiger Anerkennung und Hochachtung, bestanden hat.
Das Kriegsjahr 1916 brachte für Lulu eine bedeutende Wende. Sie wurde die zweite Gattin Eugen Diederichs, der in erster Ehe mit der Schriftstellerin Helene Voigt-Diederichs (1875 bis 1961) verheiratet war, mit der er eine Tochter und drei Söhne hatte. Die Ehe wurde 1911 geschieden, da sich Helene durch das aufreibende Familien- und Geschäftsleben in ihrer schriftstellerischen Arbeit bedroht sah. Sie zog sich auf das elterliche Gut Marienhoff in Schleswig-Holstein zurück, die vier Kinder wurden dem Gatten zugesprochen. Im Interesse seiner Söhne verzichtete Diederichs später freiwillig auf das Sorgerecht für die beiden Jüngsten. Niels und Peter lebten fortan bei der Mutter, waren aber häufig beim Vater in Jena zu Besuch, sodass Lulu Stiefmutter von vier Kindern war.
Liebling des Vaters war die 1899 geborene Ruth, die als Zwölfjährige unter der Scheidung der Eltern sicher sehr gelitten hat. Ihr hat Lulu großes Verständnis und Zuneigung entgegengebracht. Ruth Diederichs hat die letzten Jahre ihres Lebens in Bad Eilsen verbracht und ist im Sommer 1984 im Krankenhaus Bethel in Bückeburg gestorben. In Heeßen bei Bad Eilsen hat der 1901 geborene älteste Sohn Jürgen Diederichs viele Jahre gelebt.
Als Lulu Eugen Diederichs heiratete, war sie bereits 42 Jahre alt. Die Hochzeitsbilder zeigen eine fast mädchenhaft zarte Frau neben einem schweren, massig wirkenden Mann. Theodor Heuss hat bekannt: "... dem großen Verleger Eugen Diederichs in Jena, bin ich bei zahlreichen Begegnungen menschlich nie recht nahe gekommen.... Die Freundin hat diese innere Ablehnung gespürt. Die herzlichen Empfindungen für ihr Menschentum haben nie darunter gelitten- ihr eigenes frühes Werk in seiner herben, ja spröden Kraft ist von mir immer achtungsvoll gewürdigt worden." Eugen Diederichs (1867-1930) ist ein sehr vitaler, schöpferischer und erfolgreicher Mann gewesen, der sich ein unglaubliches Arbeitspensum auferlegen konnte. Diese "unruhige Betriebsamkeit" wie Heuss formuliert hat, konnte aber in totale Erschöpfung und Depression umschlagen, die Lulu auffangen musste. Sie hat den Gatten leidenschaftlich geliebt, wie unter ihrer kühlen norddeutschen Schale überhaupt ein leidenschaftlicher Kern verborgen war.
Zweieinheit
Kein Sichbehalten mehr, kein karg Bedenken,
Wo's zwischen dir und mir das Letzte gilt -
Ich darf mich ganz verströmen und verschenken,
Ein sel'ger Strom, der übers Ufer schwillt!
Dein Blut und meines ward zu einer Welle,
Die durch die Nächte rauscht, Land Ewig zu
Du bist der Heimatgrund, aus dem ich quelle,
Das Heimatmeer, in das ich münde, du!
Und auch der bange Tod wird einst nicht schwer sein
Mein letzter Atem weht in deinen hin,
Und meine Hände werden selig leer sein,
Weil ich dir alles schenkte, was ich bin!
Lulu wird von den Familienmitgliedern als sehr großzügig und gastfreundlich geschildert. Im Umgang mit extravaganten Autoren und jungen Dichtern hatte sie eine glückliche Hand. Aber auch ihre hauswirtschaftlichen Qualitäten, ihre Meisterschaft im Einwecken und Kochen werden gerühmt. Sie wird als sehr humorvoll geschildert und Humor musste sie, was ihre verwickelten Familienverhältnisse betraf, in der Tat haben. Da Helene Voigt-Diederichs später wieder in Jena lebte, sie ist 1961 auch dort gestorben, musste Lulu bei Begegnungen mit ihr im Interesse ihrer Stiefkinder sicher viel Taktgefühl und Beherrschung aufbringen. Sie lebte elf Jahre in dem Haus, das von ihrer Vorgängerin eingerichtet worden war. Im Verlag ihres Gatten hat Lulu als Lektorin und als einfühlsame geschätzte Übersetzerin gearbeitet. Um ihrer eigenen künstlerischen Entwicklung willen, hatte Helene Voigt Ehe und Familie aufgegeben. Lulu hat diese Last und die Verlagsarbeit auf sich genommen, mit Sicherheit auf Kosten ihrer schriftstellerischen Arbeit.
1927 zog sie mit dem Gatten in ein von ihr selbst geplantes großes Familienheim um. Nur drei Jahre des Glücks waren ihr in diesem "eigenen" Haus vergönnt, denn 1930 starb Eugen Diederichs. Sie soll nach seinem Tode, der ein unaussprechlicher Verlust für sie war, sichtlich gealtert sein. Von dieser Zeit an führte sie ein zurückgezogenes Leben, das ganz der Verlagsarbeit gewidmet war. Im April 1985 ist bei Ullstein, als Lizenzausgabe des Eugen Diederichs Verlag, Teil 3 mit drei Folgen der sechzehn Romane der berühmten Jalna Saga der kanadischen Autorin Mazo de la Röche (1885-1961) wieder erschienen, die Lulu von Strauß zwischen 1932 und 1937 so meisterhaft und kongenial aus dem Amerikanischen übersetzte:12' Die Brüder und ihre Frauen, Das unerwartete Erbe, Finch im Glück. Seit einiger Zeit läßt sich überall ein zunehmendes Interesse an unseren Wurzeln, unserer Geschichte feststellen. Ein neues Heimatgefühl ist im Entstehen. Um so schmerzlicher vermißt man eine Neuauflage der erdverbundenen Bauernromane, historischen Erzählungen und Dorfgeschichten aus dem westfälisch-bückeburgischen Lebensraum, die Lulu von Strauß und Torney uns mit unübertroffener Meisterschaft hinterließ.
Im Jahr der Machtergreifung war Lulu 60 Jahre alt. Ihr Briefwechsel mit Heuss weist aus, dass sie durchaus nicht das weltfremde, eingesponnene, politisch uninteressierte Edelfräulein war, als das sie oft dargestellt wird. Sie hat nicht verhindern können, dass ihr dichterisches Werk von den Nationalsozialisten in gewisser Weise vereinnahmt wurde. Immer auch hatte sie Rücksicht auf den Verlag, das Lebenswerk des geliebten Gatten zu nehmen. Privat galt ihr Interesse während der Zeit des dritten Reiches religiösen und philosophischen Themen. Nahe gestanden hat ihr hier der Lyriker Börries Freiherr von Münchhausen, der mit seinen Balladen und in seiner Person Ritterlichkeit und Adel des Herzens für seine Generation verkörperte. Nach dem Zusammenbruch blieb Lulu in Jena und hütete den Familienbesitz, denn die Stiefsöhne mussten sich 1949 nach Westdeutschland absetzen, da sie in der DDR keine Möglichkeit sahen, den Verlag weiterzuführen.
Theodor Heuss wurde am 12.9.1949 zum 1. Bundespräsidenten gewählt. Am 27.12.1949 schreibt er an Lulu von der Viktorshöhe in Bad Godesberg bei Bonn:
Verehrte, liebe Freundin!
Es hat mich gefreut und gerührt, von Ihnen einige Zeilen zu erhalten, durch die manche Vergangenheit geweckt wurde.... Ich hoffe sehr, dass es Ihnen ordentlich geht. Vielleicht wird es Sie interessieren, dass ich Hans Bott, der Ihrem Mann nahestand und den Sie vielleicht aus der Bewegung der Jungbuchhändler kennen, zu meinem persönlichen Referenten gewählt habe. Wir waren ja in der Berliner Zeit freundschaftlich verbunden.
Das gesundheitliche Befinden von Elly könnte besser sein. Sie ist immer der Gefahr von Herzanfällen ausgesetzt, und die Aktivität, die sie gern in dem neuen Aufgabenkreis entwickeln möchte, wird dadurch gehemmt.
Der Sohn "Lulu" wird nun auch im kommenden Jahr vierzig Jahre alt. Wir haben eine vergnügte Enkeltochter von 2 1/2 Jahren.
Das ist also der knappe Personalbericht. Von den Aufgaben, in denen ich stehe, will ich nicht breiter handeln. Ich begegne ihnen ohne Illusionen, aber mit einem ruhigen Herzen.
Mit vielen guten Wünschen in alter Freundschaft
Ihr Theodor Heuss
Anfang der fünfziger Jahre ist Lulu noch einmal besuchsweise in ihre Heimatstadt Bückeburg zurückgekehrt, begleitet von der treuen Pflegerin, die sie bis zum Tode umsorgt hat. Die langjährige Freundin, die Dichterin Agnes Miegel, die in Bad Nenndort eine neue Heimat gefunden hatte, musste damals mit Schmerzen feststellen, dass ihre geliebte Lulu dem Zustand geistiger Umnachtung entgegenging. Am 19. Juni 1956 starb Lulu von Strauß und Torney in Jena.
Nachweise
1) Hans Wunderlich, Lulu von Strauß und Torney - Zur 10. Wiederkehr ihres Todestages, Schaumburg-Lippische
Mitteilungen, Heft 18 Bückeburg 1967
2) Theodor Heuss, Vorspiele des Lebens, Rainer Wunderlich Verlag, Tübingen 1953
3) Theodor Heuss, Tagebuchbriefe 1955-63, Hsgb. Eberhard Pikart, Theodor Heuss Archiv 1970, S. 194,198,232
4) Theodor Heuss - Lulu von Strauß und Torney, Ein Briefwechsel, Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf-Köln 1965
5) Elly Heuss-Knapp, Ausblick vom Münsterturm, Erinnerungen, Rainer Wunderlich Verlag, Tübingen 1934
6) Theodor Heuss, Friedrich Naumann, Der Mann, das Werk, die Zeit, Rainer Wunderlich Verlag, Stuttgart u. Tübingen 1949, 2. Aufl.
7) Friedrich Naumann, Werke, Demokratie und Kaisertum 1900, Briefe über Relegion 1903
8) Margarete Vater, Hsgb. Bürgerin zweier Welten, Elly Heuss-Knapp, Ein Leben in Briefen, Rainer Wunderlich Verlag, Tübingen 1961,S.116
9) Theodor Heuss, Erinnerungen 1905-1933, Rainer Wunderlich Verlag, Tübingen
10) Walter Deimann, Der andere Löns, Adolf Sponhoitz Verlag, Hannover
11) Lulu von Strauß und Torney, Reif steht die Saat, Gesamtausgabe, Eugen Diederichs Verlag, Jena 1926, S. 227
12) Mazo de la Röche, Jalna Saga 3, Ullstein 20524, Frankfurt/M. - Berlin 1985, übertragen von Lulu von Strauß und Torney
13) Theodor Heuss, unveröffentlichter Brief aus dem Familienarchiv Diederichs, Köln
14) Walter G. Oschilewski, Sämtliche bisher von Lulu von Strauß und Torney verfaßten, herausgegebenen und übersetzten Veröffentlichungen in Buchform, Bauersche Gießerei, Frankfurt/M. 1944
Frau Inge Diederichs, Köln, sei an dieser Stelle herzlichst gedankt für ihre eindrucksvollen Schilderungen ihres langjährigen Zusammenlebens mit Lulu, ferner für die Ermöglichung einer Einsichtnahme in persönliche Aufzeichnungen, Briefe und Fotos von Lulu von Strauß und Torney.
15) eine zusammenfassende Darstellung gibt es auf wikipedia.de:
http://de.wikipedia.org/wiki/Lulu_von_Strauß_und_Torney
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