Zerwaltete Gestalt
Dieser Artikel erschien in der Fachzeitschrift für Architekten " Baumeister" 1995. Ich halte diesen Beitrag immer noch für lesenswert.
(1995) Baudirektor Falko von Strauß und Torney, damals Leiter des Hochbauamts der Freien Hansestadt Bremen
Architekten sind ein viel über sich selbst reflektierender Berufsstand. Dies muß kein Nachteil sein, wenn nicht in der entlastenden Kritik an den Umständen und an Dritten nur ein billiger Ausweg aus Identitätskrisen gesucht wird.
"Bauen ist ein Prozeß", sagt Lucius Burckhardt, damit sind notwendig zahlreiche Gruppen der Gesellschaft daran beteiligt: die wichtigsten sind Bauherr, Architekt, Verwaltung, Politik, Baugewerbe und -Industrie. Kann man aus diesem Spektrum einen oder mehrere Beteiligte ausbooten? Derartige Versuche in dieser Richtung sind für alle Beteiligten risikoreich.
Der Bauherr ist qua definitionem nicht auszubooten - doch gibt es ihn denn immer als Person, leibhaftig, einzeln, berührbar? Ausbooten heißt allerdings, da die Arbeit ja getan werden muß, immer, den jeweiligen Partner ins Boot, nämlich das eigene, zu holen, damit man ihn dominieren kann und möglichen Auseinandersetzungen aus dem Wege geht. So gibt es viele Formen, Architekten ins Boot zu holen:
In die Bauwirtschaft, in die Verwaltung, zu den Bauherren. Typisch ist bei dieser Vereinnahmung für den Betroffenen der Verlust an Freiheit, die er bei der Wahl eines freien Berufs eigentlich erhalten wollte.
Auch der Bauherr vereinnahmt Architekten: in den Bauverwaltungen nämlich, die große Institutionen aller Art benötigen, um ihren z.T. riesengroßen Immobilienbesitz zu verwalten. Auch dort verliert der "freie" Architekt einen Teil seiner Freiheit, gewinnt allerdings von der Rolle des Bauherrn hinzu. Letztlich können Architekten und/oder Verwaltungen auch von Politikern vereinnahmt werden, was eine besondere Form des Freiheitsverlustes bedeutet.
Bekannter ist vielleicht die Vereinnahmung von Politikern durch die Bauwirtschaft, der Freiheitsverlust für diesen liegt auf der Hand.
In dieser Gemengelage werden besonders die Bauverwaltungen von den freischaffenden Architekten und den Politiker-Bauherrn massiv bedrängt, die vermeintlich zu schwerfällig die jeweiligen Bau-Zielsetzungen umsetzen, zu langsam, zu teuer und am Bedarf vorbei unflexibel bauen oder bauen lassen, den freien Architekten arrogant und besserwisserisch gegenübertreten usw.
Man versucht also, die Bauverwaltung auszubooten.
Zu differenzieren ist zwischen berechtigter und unberechtigter Kritik: vieles am öffentlichen Bauen ist zu langsam - allerdings sind es oft die demokratischen Prozesse selbst, die viel Zeit und Mühe kosten. Vieles ist zu teuer, vorzugsweise deshalb, weil zu lange geplant und gebaut wird und das Vorhaben allein deshalb teurer wird, aber auch im Laufe der Zeit neue und veränderte Bedürfnisse entstehen, die zusätzlich finanziert werden müssen, solange der Bau nicht fertig ist.
Langsamkeit entsteht aber auch aus Verfahren und Organisation von Behörden:
diese ist starr, unflexibel und damit wenig leistungsfähig. Personalbeschaffung und -Wirtschaft sind mit starren Laufbahnen, Tarifen und Verfahren nicht besonders geeignet, qualifiziertes Personal zu locken und zu motivieren. Auch die öffentliche Bauverwaltung ist organisiert wie die Finanzverwaltung, die für die Abarbeitung serieller Vorgänge (z.B. Einkommensteuerbescheide) eingerichtet ist. Gebaut werden jedoch Projekte, so daß eine Projektorganisation zu fordern ist. Es ist eine Reform der Bauverwaltung also notwendig- nicht jedoch ihre Entfernung. Der fachkundige Mittler zwischen Politik und Architekt bzw. Bauwirtschaft ist zwingend erforderlich, wenn das Boot/die Boote nicht Schlagseite bekommen sollen und ein Interessenausgleich unter Wahrnehmung der jeweiligen gesellschaftlichen Verantwortung erfolgen soll.
Die Bauverwaltung muß auch selbst bauen: sie kann nur dann qualifiziertes Personal gewinnen, wenn sie diesem auch die zumindest anteilige Ausübung des einmal erlernten Berufs garantieren kann und, was noch wichtiger ist, die Qualifikation durch praktisches Training in der Realität erhalten bleibt.
Dass erst jetzt über Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung, über Kostenrechnung in den Amtern, nachgedacht wird, ist sicher ein wesentlicher Fehler der Vergangenheit gewesen. Ohne diese Instrumentarien dürfte eine fiskalisch tätige öffentliche Verwaltung nicht mehr betrieben werden. Das Selbstverständnis der Beteiligten ist allerdings auch zu betrachten: die Bauverwaltung hat sich von einer hoheitlichen Warte aus zu einem Dienstleistungsbetrieb zu wandeln, wobei durchaus strenge Maßstäbe an das eigene Tun angelegt werden können und müssen. Die Hoffnung ist berechtigt, daß unter den genannten Voraussetzungen eine reformierte Bauverwaltung eben nicht "zerwaltet", wie Walter Belz vor einigen Jahren fragend konstatierte, sondern ihren eigenen Beitrag zur Baukultur leistet, indem sie entsprechende Verantwortung trägt und partnerschaftlich mit Bauherren, Architekten, Politik und Bauwirtschaft zusammenarbeitet.